Die Fluggesellschaften vom Persischen Golf kämpfen seit Jahren mit vollem Einsatz um Passagiere. Das bekommen offenbar selbst die Flugbegleiter zu spüren. Etihad Airways etwa betonte jüngst bei einer Schulung in Abu Dhabi die Bedeutung von Innovationen, indem der Konzern Fotos von Apple-Gründer Steve Jobs auf einem Bildschirm des Konferenzraums zeigte.
Die Botschaft war klar: Das iPhone gewann seinen Markt, und Etihad kann bei Service und Innovation das Gleiche schaffen, wie der Schulungsleiter betonte. „Ihr seid die Kabinencrew. Aber letztlich seid ihr unsere Vertriebsmanager an Bord.“
Sind Frauen schwanger, können sie entlassen werden
Aber auch die Methode ist bemerkenswert. „Englisch ist nicht ihre Muttersprache, aber das iPhone ist es. Jeder kennt das“, sagt Aubrey Tiedt. Die Irin ist bei Etihad als Vizepräsidentin für den Gäste-Service zuständig. Die 30 Teilnehmer der Schulung stammten aus fünf Kontinenten.
Die Airlines vom Golf rütteln schon länger die internationale Luftfahrtbranche auf. Die Kunden freuen sich über qualitativ hochwertigen Service – häufig zu niedrigeren Preisen als bei der Konkurrenz. Ein Mittel dabei: Sie stellen Mitarbeiter aus allen Ecken der Welt ein, viele davon aus verarmten Niedriglohnländern.
Die Angestellten leben in streng überwachten Unternehmensquartieren in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Katar, arbeiten extrem lange und sind an Vertragsbedingungen gebunden, die andernorts unzulässig wären. Alle drei Golf-Airlines – Etihad, Qatar Airways und Emirates – können Frauen entlassen, sobald sie schwanger werden. „Wir bieten enorme Möglichkeiten. Wenn den Leuten das nicht gefällt, können sie ohne Kündigungsfrist gehen“, sagt Tiedt.
Flugsimulatoren für die Kabinen-Crew
Das Teamtraining für die Reaktion auf Notfälle ist eine der größten Herausforderungen in der globalisierten Luftfahrtbranche. Bei den Airlines vom Golf wird Englisch gesprochen, aber für fast alle Mitarbeiter ist es die zweite Sprache. Neue Arbeitskräfte werden stets mit jemandem aus einem fremden Land einquartiert, damit keine Cliquen entstehen und statt der Muttersprache Englischkenntnisse trainiert werden.
Die gerade einmal elf Jahre alte Etihad modernisierte ihr Ausbildungsprogramm vor zwei Jahren, um mehr visuelle Lerneinheiten für ihre Mitarbeiter aus 113 verschiedenen Ländern zu bieten. Über interaktive Computerprogramme lernen die neuen Mitarbeiter, wie der Tisch in der Businessclass gedeckt wird. Statt Anweisungen zu lesen, müssen sie Bilder anklicken und an die richtige Stelle ziehen.
Um sicherzustellen, dass die Angestellten exakt vorbereitet werden, haben Etihad und seine größeren Konkurrenten Hunderte Millionen in Flugsimulatoren für Kabinenpersonal gesteckt. Die meisten anderen Airlines trainieren dagegen nur in Kulissen. Wenige Unternehmen geben so viel Geld für voll bewegliche Module aus, die Flugzeugbewegungen bei Turbulenzen simulieren, Rauch in die Kabine blasen oder Feuer in der Gepäckablage entzünden können.
Hier lässt sich nachempfinden, wie hart die Landung mit einem kaputten Frontfahrwerk ist. Sogar eine Landung auf der Seite kann simuliert werden, damit das Personal üben kann, wie man in dieser Lage die Notausgänge öffnet.
Emirates bekommt angeblich 400.000 Bewerbungen pro Jahr
„Wenn es ein Feuer gibt, ist schnelles Handeln nötig. An Bord kann man leicht in Panik geraten und erstarren. Aber nicht, wenn man das schon mal gemacht hat“, sagt Tiedt.
Emirates ist die größte Golf-Fluggesellschaft und weltweit die Nummer vier. Nach eigenen Angaben gehen jedes Jahr rund 400.000 Bewerbungen für die ausgeschriebenen Stellen ein. Die Mitarbeiter stammen aus 143 Nationen, sie sind bei der Einstellung meist Mitte 20. Viele arbeiteten vorher in Hotels, Restaurants oder sogar bei anderen Fluggesellschaften und sind daher mit den Grundregeln des Service vertraut.
Aber wie an allen Arbeitsplätzen können sich die Crewmitglieder streiten und unterschiedlicher Meinung sein. Auf einem Emirates-Flug in die USA kürzlich stammten die Crewmitglieder jüngst aus 20 verschiedenen Ländern und sprachen 22 Sprachen. „Manchmal kommen wir gut miteinander aus, manchmal nicht“, sagte ein Flugbegleiter. „Heute ist es okay. Es gab keinen Ärger.“
Weltweit gelten die gleichen Regeln
Die Airlines verweisen auf ihr einmaliges Angebot an ihre Mitarbeiter, die rund um den Globus angeheuert werden: wettbewerbsfähige Gehälter, viele Zulagen und Gratisreisen. Die Gehälter sind in den Emiraten und Katar steuerfrei. Auch Wohnung, Strom, Heizung, Wasser, Anfahrt, Krankenversicherung und die Uniformen sind gratis oder zumindest kräftig bezuschusst.
Die Wohnungen teilen sich typischerweise zwei Mitarbeiter. Zugleich sind die Behausungen besser als etwa die für Bauarbeiter in Katar. Trotzdem sprechen Gewerkschaften aus Europa und den USA von Zwangsunterbringung. Die Golf-Airlines entgegnen, sie sorgten lediglich für die Sicherheit der Mitarbeiter.
Im Allgemeinen haben die Angestellten längere Arbeitszeiten als bei der etablierten Konkurrenz aus Europa und Nordamerika. „Wir haben keine restriktiven Arbeitslimits“, sagt dagegen der Vizepräsident für den Kundendienst bei Emirates, Terry Daly.
Alle Fluggesellschaften weltweit müssen sich bei der Arbeitszeit an die Vorgaben der Internationalen Luftfahrtorganisation ICAO halten. Die Behörden in den USA und Europa machen ihren Fluglinien aber strengere Vorgaben, besonders bei Piloten. Viele Airlines haben Tarifverträge mit genauen Grenzen, um Erschöpfung vorzubeugen. Jede Fluggesellschaft muss die Regeln ihres Heimatlandes befolgen, egal von wo nach wo der Flug geht.
In der Ruhezeit schlüpfen alle in die Emirates-Pyjamas
Diese Unterschiede sehen auf dem Papier gering aus. Die Golf-Airlines haben jedoch den Vorteil, dass sie viel auf der Langstrecke unterwegs sind, wo ihre Mitarbeiter einen ganzen Arbeitstag in der Luft verbringen. Bei Kurzstreckenflügen warten auch die Angestellten öfter am Flughafen.
Bei Qatar absolviert das Kabinenpersonal nach Angaben des Unternehmens etwa 90 bis 100 Flugstunden im Monat bei acht freien Tagen. Bei United Airlines sind es maximal 95 Stunden bei zehn freien Tagen. Zudem können United-Angestellte durch Urlaub, Ruhezeiten und Umplanungen noch mehr Freizeit erhalten.
Nach eigenen Angaben beobachten die Golf-Fluggesellschaften die Müdigkeit ihres Begleitpersonals genau. Die Crews würden sehr umsichtig für die Schichten eingeteilt, und man halte sich an Sicherheitslimits.
Auf einem 16 Stunden langen Flug von Dubai nach Dallas hatten die Piloten und Flugbegleiter jüngst ebenso viel Ruhezeit wie US-Crews. Die A380 von Emirates flog mit zwei Chefpiloten (ein Australier, ein Inder) und zwei Kopiloten (einer aus Malta, einer aus Irland). Jedes Team war genau acht Stunden im Einsatz. Das Kabinenpersonal aus Asien, Europa und Afrika schlüpfte in seiner Ruhezeit in die Emirates-Pyjamas.
Schwangere müssen auf Job am Boden hoffen
Gewerkschaften in Europa und den USA fürchten, dass Arbeitsplätze an die schnell wachsenden Rivalen vom Golf verloren gehen. Sie kritisieren die Arbeitsregeln und die Staatshilfen. Die internationale Gewerkschaft ITF beschwerte sich deswegen jüngst bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Qatar.
Der Unterverband der Vereinten Nationen übte daraufhin Druck auf die Regierung in Katar aus. „Das sind Schlachten, die wir vor Jahrzehnten geschlagen und gewonnen haben. Es ist besorgniserregend, dass es sie heute noch gibt“, sagt Sara Nelson, Vorsitzende der US-Flugbegleitergewerkschaft AFA.
Bei Emirates müsse eine Angestellte, die im ersten Jahr ihres Dreijahresvertrags schwanger werde, kündigen, könne aber später zurückkommen, erläutert Daly. Etihad lässt schwangere Crew-Mitglieder die ersten drei Monate lang fliegen. Sie müssten danach aber das Unternehmen verlassen oder am besten – sofern möglich – einen Job am Boden übernehmen, so Tiedt. Bei Qatar muss eine Schwangere sofort zu fliegen aufhören, da die Fluggesellschaft gesundheitliche Schäden fürchtet. Falls möglich, kann die Betroffene am Boden weiterarbeiten.
Die Frauen würden auf diese Regeln ausdrücklich hingewiesen, versichern die drei Airlines. Die Gesellschaften erwarteten, dass sie nach ihrer teuren Ausbildung arbeiteten. Beschwerden werden beiseitegewischt. „Wir geben den Leuten sehr gute Arbeitsbedingungen“, pocht Qatar-Chef Akbar Al Baker auf die Vorzüge einer Beschäftigung bei seinem Unternehmen.
Einstiegsgehalt liegt bei 19.400 Euro netto im Jahr
Die Mitarbeiter müssten sich in den ersten fünf Jahren in ihrem Job die Erlaubnis für eine Heirat einholen. Das sei aber eine reine Formalität, versichert Al Baker. Wer in den Unterkünften ein uns aus gehe, werde per Kamera überwacht. „Die Aufzeichnungen dienen der Sicherheit meiner Mädchen“, sagt Al Baker. Er sei außerdem der Erste in der Region gewesen, der Pilotinnen eingestellt habe und heute 100 von ihnen ins Cockpit setze.
In den USA gibt es laut der Flugaufsichtsbehörde FAA keine Einschränkungen für Schwangere an Bord, solange die Kräfte physisch für die Arbeit reichten. Die Gewerkschaft AFA betont, dass US-Arbeitgeber keine Schwangeren benachteiligen dürften. Außerdem kämpfte die AFA für Schwangerenuniformen und Schwangerschaftsurlaub.
Die steuerfreien Gehälter für die Kabinencrew starten bei Qatar umgerechnet bei etwa 19.400 Euro im Jahr, was ziemlich nah an Vergleichsgehälter in den USA und Europa herankommt. Flugkapitäne starten mit sehr guten 162.000 Euro, erste Offiziere mit rund 105.000 Euro.
Massensterben der westlichen Airlines blieb aus
Emirates verteidigt seine Arbeitsregeln und verweist darauf, dass etwa 11.000 Mitarbeiter ihres rund 53.000 Mann starken Personals zehn Jahre und mehr bei der Airline seien. Einen Massenexodus von US- und europäischen Fluggesellschaften habe es auch in der vorerst letzten Rezession nicht gegeben, erläutert Daly – trotz der vielen Kündigungen im Westen.
Etihad will kulturelle Unterschiede über eine stärkere Identifizierung mit dem Unternehmen einebnen. Bei der siebenwöchigen Eingangsschulung und den wiederholten Trainingseinheiten werden auch Etihads Geschichte und die vielfachen Chancen hervorgehoben. „Wenn die Mitarbeiter das Geschäft nicht verstehen, werden sie zu einfachen Robotern“, meint Tiedt.
Dieser Artikel ist zuerst unter dem Titel „Wie die Golf-Airlines sich ihre perfekte Crew drillen“ im „Wall Street Journal Deutschland“ erschienen.
Author: Nicole Cisneros
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